Moritz Bauer über Karriere-Achterbahn: „Dann schaust du mit anderen Augen auf die Fußball-Welt“

4 years ago 43
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Österreicher im Interview 

Von einer geradlinigen Karriere kann man im Falle von Moritz Bauer nicht sprechen, vielmehr sollte der Begriff abwechslungsreich verwendet werden. Schließlich spielte der ehemalige österreichische Nationalspieler bereits in der Schweiz, Russland, England und Schottland. Seit Anfang dieser Saison ist er wieder in Russland unter Vertrag, beim dortigen Erstligisten FK Ufa. Bei Transfermarkt spricht Bauer über seine Erfahrungen im europäischen Vereinsfußball.


Würde man aus dem Stehgreif nach russischen Städten fragen, wären die wahrscheinlichsten Antworten Moskau oder St. Petersburg. Ufa hingegen würden wahrscheinlich die wenigsten nennen. Dabei genießt die Stadt, die über eine Million Einwohner zählt, aufgrund ihrer Geschichte und kulturellen Vielfalt insbesondere bei Touristen einen guten Ruf. Die Region ist vorwiegend muslimisch geprägt, und so finden sich neben orthodoxen Kirchen auch Moscheen im Stadtkern. Das imposant wirkende Denkmal für den Nationalhelden Salawat Julajew am Belaja Fluss gilt als das Symbol der Stadt. Wenn Moritz Bauer an den Wahrzeichen der Stadt spazieren geht, wird er häufig angesprochen, denn der 29-Jährige ist als Profi des heimischen FK Ufa bekannt in der Stadt. „Als Westeuropäer wird man schnell erkannt und da die Russen sehr offene Menschen sind, wird man auch direkt angesprochen. Wenn man dann noch halbwegs sportlich aussieht und Russisch mit Akzent spricht, erfolgt nach einem, 'wie geht es dir?', sofort die Frage: 'Bist du Eishockey- oder Fußballprofi?', erzählt Bauer schmunzelnd, der im Februar dieses Jahres vom englischen Zweitligisten Stoke City nach Ufa wechselte.


Mit Russland verbindet Bauer eine besondere Beziehung, schließlich zog es ihn bereits im Alter von 24 Jahren zum ersten Mal in die Premier Liga. Damals entschied sich der Rechtsverteidiger für einen Wechsel vom Grasshopper Club Zürich zu Rubin Kazan. Eine Entscheidung, die damals für viel Verwunderung im Umfeld des Spielers sorgte, doch der heute Bauer hat eine plausible Erklärung: „Viele haben mir von diesem Schritt abgeraten, meinten ich würde damit meine Karriere versauen. Irgendwas in mir sagte aber, ich sollte diesen Schritt wagen. Heute kann ich sagen, es war die absolut richtige Entscheidung. Zudem, und das finde ich sehr schade, werden Russland und vor allem die Menschen hier als sehr negativ dargestellt. Ich habe selten so herzliche, freundliche Menschen kennengelernt wie hier in Russland, und das, obwohl es ihnen finanziell teilweise nicht so gut geht. Auch die Organisation und Professionalität der russischen Vereine wird sehr häufig unterschätzt. Wenn man nicht wüsste, dass man in Russland spielt, man würde denken, man spielt für einen Klub in Westeuropa.“


Rückblickend war die Station bei Rubin Kazan ein großes Sprungbrett. In diese Zeit fallen unter anderem seine Einsätze für die österreichische Nationalmannschaft. Zusätzlich spielte er sich aufgrund seiner gezeigten Leistung in das Blickfeld vieler Vereine aus europäischen Top-Ligen. Am Ende entschied sich Bauer 2018 für den Wechsel aus Russland zu Stoke City. Damals flossen über 6 Millionen Euro als Ablöse. Insbesondere die Ablösen und Marktwerte können Spieler beeinflussen, positiv wie negativ, weiß Bauer. „Mit Anfang 20 habe ich auf die Marktwert-Updates bei Transfermarkt gewartet und mich stets gefreut, wenn mein Marktwert angehoben wurde. Ich glaube, besonders als junger Spieler sind einem solche Sachen wichtiger. Heute interessiert mich der Marktwert überhaupt nicht mehr, weil die Priorität und vor allem der Fokus, worauf man als Spieler Wert legt und eigentlich Wert legen sollte, ganz woanders liegen.“


Bauer: „Ich war ein wenig überrascht, wie es in England zugegangen ist“

Den Vorwurf, dass es im Profifußball teilweise nur noch um Oberflächlichkeit geht, kann Bauer bestätigen und hat festgestellt, dass dies vor allem in England der Fall ist. „Ich war ein wenig überrascht, wie es in England zugegangen ist. Dieses Gemeinschaftsgefühl, was ich aus der Schweiz und aus Russland kannte, war in England überhaupt nicht vorhanden. Es war wie ein, ich komme an meinen Arbeitsplatz, verrichte meine Arbeit und gehe dann wieder nach Hause. Ich hatte das Gefühl in der Kabine sitzen 25 individuelle Profis, die nicht wirklich an einem gemeinsamen Miteinander interessiert sind. Was ich als besonders schade empfand, dass es nur mit wenigen Spielern wirklich intensive oder tiefergehende Gespräche gab, aus denen ich menschlich etwas mitnehmen konnte. Vielleicht übertreibe ich auch, aber die Hauptthemen waren Playstation, Autos, Mode und wie man sich auf Social Media am besten präsentieren kann. Ich erinnere mich noch an die Sprüche, als ich mit meinem Fiat 500 auf das Trainingsgelände gefahren bin und mir am Ende dachte: Jungs, ist doch egal, ob ich jetzt Porsche, Mercedes AMG oder Fiat 500 fahre, Hauptsache wir haben auf dem Platz eine gute Zeit zusammen.“


Doch der Fußball entwickelt sich nicht nur auf dem Platz sehr schnell. „Neben ihm werden das Entertainment sowie die Selbstdarstellung immer wichtiger“, weiß Bauer. „Früher hat man sich freiwillig Freistoß-Videos von Roberto Carlos oder Juninho und Dribblings von Ronaldinho angeschaut und darüber gesprochen. Heutzutage spricht man lieber über die Anzahl Follower, neueste Frisuren oder Schuhfarbe von Spieler X.“


Und auch die Privilegien die man als Fußballprofi bekommt, scheinen dem 29-Jährigen teilweise unangenehm. „Ich finde es etwas befremdend, wenn Personen, die in der Öffentlichkeit tätig sind, fast unverhältnismäßige Vorteile bekommen, obwohl sie nur ihrer Arbeit nachgehen oder anders gesagt: Mit welcher Begründung erhalten Fußballprofis oder Filmstars eine Extrabehandlung und Menschen, die genauso hart für ihr Geld arbeiten, werden unfreundlicher behandelt? Ich verstehe natürlich, dass unsere Gesellschaft so funktioniert und ich nehme mich überhaupt nicht davon aus, denn auch ich habe extrem profitiert“, so Bauer.

„Als Jungprofi habe ich die Privilegien genossen, beispielsweise, wenn ich nur anrufen musste und einen Tisch in einem Restaurant bekam, obwohl das Restaurant komplett ausgebucht war oder ein Sportwagen, bei dem die Lieferzeit normalweise einige Monate betrug, am nächsten Tag beim Autohändler auf dem Hof für mich bereit stand. Doch ich möchte lieber durch freundliches, hilfsbereites und respektvolles Verhalten auffallen und nicht anhand meines Marktwerts oder Follower bewertet werden. Heute fühle ich mich daher eher unwohl, wenn mir solche Privilegien angeboten werden, weil ich als Fußballprofi nichts Besseres bin.“


Moritz Bauer über „Achterbahnfahrt“ Profi-Karriere

Woher kommt diese tiefe Reflektion bei Bauer? „Wenn du eine Achterbahnfahrt durchgemacht hast, dann schaust du mit anderen Augen auf die Fußball-Welt“, sagt der 29-Jährige. Mit Achterbahnfahrt meint er die Entwicklung nach seinem Wechsel zu Stoke City. Bei dem damaligen Erstligisten erarbeitet er sich gleich in der Anfangssaison einen Stammplatz. Doch nach dem Abstieg der „Potters“ und einem Trainerwechsel war Bauer plötzlich außen vor und das, obwohl der Verein noch im gleichen Sommer mit dem Rechtsverteidiger vorzeitig verlängerte und er einen neuen Fünfjahresvertrag unterschrieb. Zur Saison 2019/2020 ließ er sich dann zu Celtic Glasgow ausleihen. Mit Celtic gewann er das Double, bestehend aus Meisterschaft und schottischem Pokal. Trotz dieses Erfolgs ging es in Schottland nicht weiter, was er noch heute als „schade“ empfindet. „Die Zeit bei Celtic war sehr speziell. Ich kriege noch heute Gänsehaut, wenn ich an die Heimspiele im Celtic Park denke. Die Fans und die Stimmung sind unglaublich, einfach Weltklasse. Leider musste die Saison wegen der Pandemie jedoch früher beendet werden und damit hat sich auch eine Gesamtsituation komplett verändert“, bedauert Bauer seinen Abgang aus Schottland.


Moritz Bauer im TM-Interview

Nach seiner Rückkehr zu Stoke City, wo zwischenzeitlich bereits zwei Trainerwechsel stattgefunden hatten, spielte er in der Kaderplanung des englischen Zweitligisten überhaupt keine Rolle. Selbst Trainingseinheiten mit der ersten Mannschaft blieben ihm und anderen von Leihgeschäften zurückgekehrten Spielern verwehrt und somit entschied er sich kurzerhand für eine Rückkehr nach Russland. Mit der Kritik, er hätte trotz seines Talents zu wenig aus seiner Karriere gemacht, kann Bauer gut umgehen. „Natürlich hätte ich aus meiner Karriere mehr herausholen können, nur nicht müssen. Es soll keine Ausrede sein, aber Erfolg im Fußball hat meistens nur wenig mit Talent zu tun. Das Talent öffnet dir nur den Weg. Erfolg ist in meinen Augen die Kombination aus sehr viel harter Arbeit, Glück, einem Trainer, der auf einen setzt und einer verletzungsfreien Zeit. Kurz gesagt: Du musst zur richtigen Zeit, am richtigen Ort sein und dann abliefern“, betont Bauer.

Den Wechsel zu Stoke City will Bauer aber nicht als Fehlentscheidung bezeichnen. „Ich mag das Wort Fehlentscheidung nicht, weil es keine Fehlentscheidungen gibt. Wenn man sich für einen Weg entscheidet, ist das eine bewusste und gut überlegte Entscheidung. Ob der Weg am Ende der richtige ist, kann doch keiner zu dem Zeitpunkt sagen, als die Entscheidung getroffen wurde. Ein heute gemachter Fehler, kann am morgigen Tag schon wieder dein Glück sein. Von daher muss ich ganz klar sagen: Die Entscheidung zu Stoke zu wechseln, unabhängig davon, wie es am Ende gelaufen ist, war absolut richtig. Genauso wie es absolut richtig war, zu den anderen Vereinen zu wechseln“, betont Bauer. Ob er zum Ende seiner Karriere nochmal in einer europäischen Top-Liga angreifen wird, kann er nicht sagen. „Aber natürlich ist das mein Anspruch! Es wäre schön, wenn ich aufgrund guter Leistungen nochmals ein Comeback als Nationalspieler feiere. Ich bin noch immer jung und topfit, habe noch Ambitionen und vor allem Hunger, Fußball zu spielen. Doch wenn ich eine Sache im Fußball gelernt habe, dann, dass nichts, aber überhaupt nichts im Fußball planbar ist. Innerhalb weniger Wochen kannst du ganz oben sein, aber auch ganz unten – halt wie in einer Achterbahn.“

Interview und Text von Henrik Stadnischenko

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